Sein Name ist untrennbar mit der Geschichte der Universität Erfurt verbunden. Und es ist wohl nicht übertrieben, zu sagen, dass die Uni ohne ihn und die von ihm 1987 ins Leben gerufene Interessengemeinschaft Alte Universität Erfurt in diesem Jahr nicht ihr 25-jähriges Bestehen feiern könnte. Aribert Janus Spiegler war eine der Schlüsselfiguren bei der Wiedergründung der Uni Erfurt. Und auch wenn der Weg steinig war, schaut der heute 66-Jährige mit überwiegend positiven Gefühlen auf eine Zeit zurück, die in die Erfurter Geschichte einging…
1975 kam Aribert Janus Spiegler als Student an die Medizinischen Akademie Erfurt. Die damalige Bezirksstadt hatte es ihm von Anfang an angetan: „Allein die Allerheiligen- und Michaelisstraße im sogenannten Lateinischen Viertel mit der Humanistenstätte Engelsburg und der Bauruine des 1945 zerstörten Collegium Maius – ich hatte das Gefühl, die Geschichte der Stadt regelrecht anfassen zu können“, erzählt er noch immer begeistert. Vertieft wurde diese Faszination in einer Vorlesungsreihe zur Geschichte der Medizin, denn diese tangierte auch die Medizinische Fakultät der alten Universität Erfurt, „als deren Nachfolgeeinrichtung sich die Medizinische Akademie im Übrigen verstand“, weiß Spiegler. Was ihn besonders beeindruckte: Die alte Universität wurde vom Bürgertum gegründet und nicht etwa von Fürsten, wie es eigentlich üblich war. Und so führten mehrere Faktoren dazu, dass sich der Mediziner immer mehr mit der alten Universität befasste und zunächst den Wunsch entwickelte, das Collegium Maius wieder aufbauen zu helfen. Später wurde daraus die Vision, die Alma mater Erfordensis wiederzugründen – was jedoch zu der damaligen Zeit kein leichtes Unterfangen war: „Unter DDR-Bedingungen war es nicht selbstverständlich, eine Idee einfach laut auszusprechen. Vor allem, wenn sie nicht der SED-Politik entsprach. Denn tatsächlich gab es konkrete politische Beschlüsse, die festlegten, dass es in Erfurt keine Universität mehr geben soll. So war mir von Beginn an bewusst, dass ich sehr vorsichtig sein muss“, erinnert er sich.
„Uns war klar, dass unser Vorhaben nur realistisch wird, wenn wir es schaffen, die ganze Stadt zu begeistern.“
– Aribert Janus Spiegler
Aribert Janus Spiegler sollte mit seinem Traum nicht allein bleiben. „Am Rande einer Veranstaltung kam ich glücklicherweise mit Inge Haase, der Vorsitzenden des Kulturbundes Erfurt-Nord, ins Gespräch und erzählte ihr von meinen mittlerweile schon ausgereifteren Ideen“, erklärt er. „Ihre aufrichtige Begeisterung war es schließlich, die mich bestätigte und für mein Vorhaben motivierte.“ Und so versammelte der Mediziner 1987 neben Inge Haase einen kleinen Kreis an Erfurter Bürgern um sich, aus denen noch im Herbst desselben Jahres die „Interessengemeinschaft Alte Universität“ hervorgehen sollte – wenn auch nach wie vor kritisch beäugt von der Politik. Das erklärte Ziel: Die Idee der Wiedergründung der Uni Erfurt publikumswirksam in die Stadt zu tragen und das Collegium Maius wieder zu aufzubauen. „Uns war klar, dass unser Vorhaben nur realistisch wird, wenn wir es schaffen, die ganze Stadt zu begeistern. Wenn wir den Menschen etwas aufzeigen, dass zu ihrer kulturellen Identität gehört.“ So veranstaltete die Interessengemeinschaft ab 1988 die jährlichen „Tage Alte Universität Erfurt“ – politisch sehr umstrittene Veranstaltungen, die u.a. wissenschaftliche Vorträge, Kolloquien und Konzerte auf dem Programm hatten. Für die allererste Veranstaltung im Mai 1988 wählte die Interessengemeinschaft bewusst das Format der Podiumsdiskussion. Der Vorteil: „Was wir nicht aussprechen durften, durften jedoch unsere renommierten Gäste auf dem Podium – u.a. ehemalige Rektoren der Medizinischen Akademie. Diese haben nämlich keinen Hehl daraus gemacht, dass sie die Wiedergründung der Universität Erfurt sehr begrüßen würden.“ Und so war der Gedanke erstmals öffentlich ausgesprochen. „Und das nicht etwa durch uns, sondern durch hoch geschätzte Mediziner“, erzählt er noch immer erfreut über den damaligen Geniestreich. Ab diesen Punkt war das Interesse der Öffentlichkeit geweckt, die Medien begannen, regelmäßig über die Bestrebungen und Entwicklungen zu berichten und auch die von Aribert Janus Spiegler von Anfang an bewunderten historischen Gebäude rückten nun in den Mittelpunkt. Kurz darauf gelang es ihm zudem, die Wiedergründung der Universität Erfurt in die UNESCO-Weltdekade für kulturelle Entwicklung einzubinden und hob das Vorhaben damit auf eine neue Ebene. „Ich hatte einfach das große Glück, immer wieder auf Menschen zu stoßen, die über ihren politischen Tellerrand blickten.“
Die wohl größte Zäsur sollte dennoch erst folgen – der Herbst 1989. „Ich vergleiche das damalige neue Gefühl der Freiheit gern mit der willkommenen Frische und dem ‚Wieder-durchatmen-können‘ nach einem schwülen Hochsommertag“, verbildlicht er die Zeit des Mauerfalls. „Man konnte sich wieder frei bewegen und musste nicht mehr darüber nachdenken, was man sagen und tun darf. Das war ein großes Geschenk.“ Die politische Wende mit den vielen Demonstrationen führte bei Aribert Janus Spiegler außerdem zu Überlegungen, wie man den universitären Gedanken in diese neue „frische Luft“ einbinden konnte. So kam er auf die Idee einer der spektakulärsten Aktionen der Interessengemeinschaft – den „Bürgerwall für unsere Altstadt“ im Dezember 1989. Hintergrund der Aktion: Es gab zu dieser Zeit noch Pläne, das Andreasviertel zugunsten von Plattenbauten abzureißen. Diesen Vorhaben stellte sich die Interessengemeinschaft gemeinsam mit vielen Erfurter Bürgern in Form einer Menschenkette um die Altstadt entgegen – „ein Meilenstein, der ein Medienspektakel nach sich zog und am allerwichtigsten: zur Aufgabe der Abrisspläne führte“, erzählt er noch immer stolz auf das Erreichte.
Ein wahrhaft glücklicher Gedanke
Beflügelt von den Erfolgen schmiedete Spiegler weitere Pläne. „Die Mauer war gefallen und wir überlegten, wie man die neu erlangte politische und geografische Freiheit weiter nutzen könnte“, erklärt er. „Gemeinsam mit Dr. Roswitha Jacobsen, einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin der Pädagogischen Hochschule Erfurt, verfasste ich einen Aufruf zur Gründung einer ‚Europäischen Universität Erfurt‘.“ Die Intention: „Wir waren überzeugt, dass diese Art von Wiedergründung sich bestens in den europäischen Einigungsprozess einordnen und sogar einen Beitrag zu einem zusammenwachsenden Europa bilden kann.“ Mit diesem Gedanken trafen die Initiatoren erneut ins Schwarze und konnten nun auch Bundespolitiker für sich gewinnen. Kein Geringerer als der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker schrieb 1990 nach seinem Besuch in Erfurt: „Es ist ein wahrhaft glücklicher Gedanke, die Universität Erfurt als europäische Universität wiedererstehen zu lassen.“
„Das war schon eine Schizophrenie des Schicksals. Ich hatte mir sozusagen selbst den Ast abgesägt, auf dem ich saß.“
– Aribert Janus Spiegler
Doch nicht alle teilten die Euphorie um die Wiedergründung der Alma mater, die spätestens ab diesem Punkt nicht mehr aufzuhalten war: „Ich begriff leider nicht rechtzeitig, dass sich andere Hochschulstandorte durch den Trubel um die Universität Erfurt bedroht fühlten“, räumt Spiegler ein. „Schon damals entstanden diese Mauern und eine Contra-Bewegung, die wohl letztendlich trotz der Massendemonstrationen zur Schließung der Medizinischen Akademie führte. Das bedaure ich sehr, kann es aber nicht rückgängig machen.“ Denn mit dem Beschluss der Neugründung der Universität Erfurt zum 1. Januar 1994 ging gleichzeitig die Aufhebung der Medizinischen Akademie einher. Für Aribert Janus Spiegler bedeutete das, dass sein großer Traum in Erfüllung ging, er jedoch als Mitarbeiter der Abteilung Medizinische Genetik an der Medizinischen Hochschule Erfurt arbeitslos wurde und in eine persönliche Krise stürzte: „Das war schon eine Schizophrenie des Schicksals. Ich hatte mir sozusagen selbst den Ast abgesägt, auf dem ich saß.“
Eine weitere Konsequenz, die sich schon in den Monaten vor der Gründung abzeichnete: „Als die Politik die Wiedergründung in die Hand nahm, rutschte die Bürgerinitiative verständlicherweise in die zweite Reihe. Als man uns dann jedoch völlig ausschloss, empfand ich das gewissermaßen als ein Versagen der Demokratie. Die politischen Entscheidungsträger haben ausgerechnet die Menschen ausgeschlossen, die diese Entwicklung über Jahre uneigennützig auf den Weg gebracht haben“, erklärt Spiegler, der damals die Konsequenzen zog, von seinem Amt als Vorsitzender zurücktrat und sich auf einen, wie er sagt, „Selbstheilungsprozess“ begab. „Als Arzt sucht man schließlich immer eine Therapie – für mich war es ein humanitärer Einsatz in Ruanda. Die Arbeit an solch einem Krisenherd hat mich zu einem Neuanfang motiviert.“ Und den fand er schließlich nach seiner Rückkehr 1995 als medizinischer Gutachter beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Thüringen.
Trotz aller Entwicklungen um 1994 blickt Aribert Janus Spiegler nicht vorwurfsvoll auf die Vergangenheit zurück. Nein, gekränkt sei er nicht, vielmehr überwiege der Stolz und die Freude –darüber, noch vor dem Herbst 1989 eine Initiative gegründet zu haben, die den Grundstein zur Wiedergründung der Uni Erfurt legte, „und dass meine Tochter und mein Schwiegersohn an eben dieser Universität studiert haben. Das macht mich zufrieden.“
Aribert Janus Spieglers Wünsche zum 25-jährigen Bestehen
„Ich wünsche der Universität, den HochschullehrerInnen und den Studierenden Momente, die sie im ‚Stolzsein‘ ermutigen. Stolz auf die einmalige Geschichte und die Wiedergründung, die immer etwas mit den engagierten Bürgern der Stadt zu tun hatte. Stolz auf das, was sie hat – beispielsweise das Max-Weber-Kolleg mit seiner internationalen Strahlkraft, die Willy-Brandt-School, die großartige Menschen aus aller Welt ausbildet, und die vielen tollen Initiativen wie ‚Fremde werden Freunde‘. Überall dort sehe ich den damals von uns geforderten europäischen Gedanken, an dem natürlich couragiert weiter gearbeitet werden sollte. Wir stehen wohl wie immer an einem Anfang.“