25 Köpfe: Eberhard Tiefensee – Auf rauen Wegen zu den Sternen

Eberhard Tiefensee

November 2002. Eberhard Tiefensee, damals noch Rektor des Philosophisch-Theologischen Studiums, sitzt gemeinsam mit seinen Sekretariatsmitarbeiterinnen in den Büros der Domstraße 10 vor dem Radio. Sie lauschen gespannt der Live-Übertragung der Landtagssitzung, die über die Zukunft der Einrichtung entscheiden wird. Die vergangenen Wochen und Monate waren anstrengend und geprägt von schier unendlich vielen Sitzungen und Verhandlungen zur geplanten Integration der Katholischen Hochschule als Fakultät in die noch junge Universität Erfurt. „Als dann das Abstimmungsergebnis kam, haben wir mitten in der Arbeitszeit eine Flasche Wein geköpft“, erzählt Eberhard Tiefensee. Der Landtag hatte die Integration genehmigt. „Diesen Moment werde ich wohl nie vergessen“, schwelgt er in Erinnerung. Heute ist die Katholisch-Theologische Fakultät nicht mehr von der Uni Erfurt wegzudenken. Doch bis zur Integration war es ein langer Weg, und die katholische Theologie in Erfurt hat eine ganz eigene Geschichte, die lange vor der Gründung der neuen Universität Erfurt begann. Eberhard Tiefensee hat sie dabei ein Stück des Weges begleitet…

Denn seine Geschichte mit der katholischen Theologie in Erfurt beginnt bereits 1973. Nach dem Abitur mit der Berufsausbildung zum Chemie-Laboranten studierte er Philosophie und Theologie am Philosophisch-Theologischen Studium in Erfurt – der einzigen katholischen Vollfakultät in der DDR, gegründet 1952. Das Studium beendete er 1977 als Diplom-Theologe. Es folgte die Priesterweihe und 1986 schließlich die Promotion zum Doctor theologiae bei dem renommierten Professor Konrad Feiereis. Wie es war in der atheistisch geprägten DDR, Theologie zu studieren? „Die katholische Ausbildung in Erfurt war lediglich staatlich geduldet, sodass man sich natürlich keine Experimente leisten konnte“, erklärt Tiefensee. „Tatsächlich haben sich diese Umstände aber im Studienalltag kaum bemerkbar gemacht.“ Im Gegenteil. Die Studierenden hatten sogar Zugang zu westdeutscher Literatur und Zeitschriften – „vermutlich über etwas krumme Wege“, fügt Eberhard Tiefensee schmunzelnd an. „Wir konnten nahezu alles lesen, u.a. sogar Nietzsche, an dessen Werke man in der DDR eigentlich kaum herangekommen ist.“ Somit habe sich die Lehre an der katholischen Hochschule sehr nah an der modernen, hauptsächlich westdeutschen Theologie bewegt. „Allgemein waren in der Fakultät eine Reihe international anerkannter ‚Spitzenleute‘ vertreten“, erzählt Tiefensee, der sein Studium in Erfurt als sehr schöne Zeit in Erinnerung hat. Nicht zuletzt durch die vielen Freiheiten, die er bis dahin nicht hatte.

Eine ganz andere Hochschule

Nach Studium und Promotion sowie einigen Jahren in der Seelsorge ging es für Eberhard Tiefensee nach Bonn und Tübingen, wo er sich 1996 habilitierte und sich nun nach einer Professorenstelle umschaute. Wie es der Zufall wollte, wurde sein ehemaliger Doktorvater Konrad Feiereis pensioniert, sodass die Stelle am Philosophisch-Theologischen Studium in Erfurt ausgeschrieben war. Und obwohl Eberhard Tiefensee einen Ruf von der Universität Paderborn hatte und parallel bereits weitere Bewerbungen liefen, war die Stelle in Erfurt seine erste Wahl. Trotz einer Vielzahl von Konkurrenten um die Stelle hatte seine Bewerbung Erfolg. Tiefensee wurde Professor für Philosophie – eine Professur, die er bis zu seinem Ruhestand innehatte. In der Zwischenzeit hatte sich vieles verändert, die Hochschule, an der Eberhard Tiefensee einst studiert hatte, war nun eine ganz andere. „Das fing schon bei der Zusammensetzung der Studierenden an. Zum einen war der Frauenanteil wesentlich höher, zum anderen wurden hier mittlerweile auch Religionslehrer ausgebildet.“ Darüber hinaus hatte Tiefensee nun viele Kollegen, die aus Westdeutschland kamen und die Hochschule durch verschiedene „Werbemaßnahmen“ mehr nach außen öffnen wollten – „etwas, das zu DDR-Zeiten verständlicherweise nicht verfolgt wurde“, fügt Tiefensee an und erinnert sich im Zuge dessen daran, wie es 1997 zu seinem Auftrag wurde, einen Internetanschluss einzurichten, E-Mail-Adressen zu verteilen und eine Homepage zu „bauen“. „Das kann man sich heute wahrscheinlich gar nicht mehr vorstellen, aber das waren so die ersten technischen Herausforderungen“, erklärt er sichtlich belustigt.

Das Coelicum und die Kapelle Kiliani: Bis heute werden die Räumlichkeiten in der Domstraße 10 von der Fakultät genutzt.
Neue Wege

Zudem gab es eine weitere große Veränderung: Die neue Universität Erfurt wurde 1994 gegründet und die zwei Hochschulen waren von Beginn an im Kontakt miteinander. „Insbesondere Gründungsrektor Peter Glotz hat massiven Druck gemacht, dass die Theologie Einzug in die Uni Erfurt findet – u.a., weil er die staatliche Uni sonst nicht als vollständig erachtete. Und dieses Anliegen wurde natürlich auch von uns verfolgt.“ Parallel war Eberhard Tiefensee bereits Mitglied in den Berufungskommissionen an der Universität und hat so die Anfänge, beispielsweise die Gründung des Max-Weber-Kollegs, live miterlebt. „Das war schon spannend, weil man bei vielen Punkten noch gar nicht wusste, wohin die Reise geht – zumal wir als Reformuniversität eine der ersten in Deutschland waren, die das BA/MA-Modell eingeführt haben. Das war also völliges Neuland.“

Doch nicht alle Entscheidungsträger waren einverstanden mit dem Vorhaben, das Philosophisch-Theologische Studium in die Uni Erfurt einzugliedern. So mussten Tiefensee und seine Kollegen 1998 aus einen FAZ-Artikel erfahren, dass der Vatikan gegen die Integration war und eher ein Kooperationsmodell befürworten würde. „Das war existenzbedrohend für uns, weil somit unsere Finanzierung auf dem Spiel stand“, erklärt er. „Es war schon eine düstere Stimmung damals.“ Tiefensee kam zudem ab 2001 eine besondere Rolle im Integrationsprozess zu: Er wurde Rektor der noch eigenständigen Katholischen Hochschule und war somit an den verschiedenen Verhandlungen mit den kirchlichen Entscheidungsträgern, Landtag, Wissenschaftsministerium und natürlich der Universität beteiligt. „Das war eine wilde Zeit. Alles wurde verhandelt – vom Personalschlüssel und der Bezahlung, der Übernahme der Bibliothek, über die Räumlichkeiten auf dem Campus und in der Domstraße, bis hin zu Telefonanschlüssen und gar der Trennung von Heizungssystemen.“

Die Villa Martin, gelegen auf dem Erfurter Campusgelände, ist das zentrale Dienstgebäude der Katholisch-Theologischen Fakultät.

All die Mühen und das Bangen sollten nicht umsonst gewesen sein: Nachdem 2002 doch noch die Genehmigung zur Integration aus Rom kam, gaben Ende 2002 schließlich auch der Senat der Universität und der Landtag „grünes Licht“. Teil des Integrationsvertrags war zudem, dass die katholische Kirche die Renovierung der Villa Martin finanziert und die neue Fakultät damit auch auf dem Campus an der Nordhäuser Straße verortet ist.

Von der Hochschule zur Fakultät

Eberhard Tiefensee war von nun an nicht mehr Rektor der katholischen Hochschule, sondern Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät und wurde bald darauf gleichzeitig auch Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs. Wie es war, nun nicht mehr an einer eigenständigen Hochschule zu arbeiten, sondern Teil einer staatlichen Universität zu sein? „Auch, wenn es natürlich Kollegen gab, die mit der katholischen Theologie etwas ‚fremdelten‘, haben wir insgesamt eine enorme Offenheit erlebt und fühlten uns sehr gut aufgenommen. Wir stiegen direkt in verschiedene Projekte ein, profitierten wie andere Fakultäten vom interdisziplinären Austausch und konnten gemeinsam mit dem Max-Weber-Kolleg Nachwuchswissenschaftler promovieren.“

Und auch wenn die Integration erfolgreich über die Bühne gebracht war, wurde nun die Doppelbelastung als Dekan und Vizepräsident für Eberhard Tiefensee so stark, dass er sich dazu entschloss, sich von nun an vorrangig auf seine Professur für Philosophie zu konzentrieren. Und das tat er bis zum vergangenen Jahr. Was ihn über all die Jahre in Erfurt hielt? „Man bewegt sich hier in einem Umfeld, das wohl weltweit einmalig ist. Ich kenne kaum eine vergleichbare Umgebung, in der eine mehrere Generationen andauernde Konfessionslosigkeit herrscht. Das ist eine enorme Herausforderung und zugleich eine hochspannende Angelegenheit, da ich überzeugt bin, dass diese Situation auch Chancen beinhaltet und beide Seiten weiterbringen kann.“

Und eben dieses Thema – der Umgang des Christentums mit einer so stark säkularisierten Umgebung wie im Osten Deutschlands – beschäftigt Eberhard Tiefensee auch im Ruhestand. So sehr, dass er ein Buch dazu veröffentlichen möchte. „Allerdings bin ich aktuell noch permanent mit Vortragsanfragen beschäftigt, sodass ich erst ein Kapitel schreiben konnte“, erzählt er und lacht: „In diesem Sinne hat sich mir das Wort ‚Ruhestand‘ noch nicht erschlossen.“

Eberhard Tiefensees Wünsche zum 25-jährigen Bestehen:

„Ich wünsche der Universität, dass sie ihre gesellschaftliche Aufgabe nie aus den Augen verliert. Meine Wahrnehmung ist, dass man sehr schnell elfenbeinturmmäßig um sich selbst kreist – sei es bei Strukturfragen, Konzeptionen für Studiengänge oder fast etwas esoterisch wirkenden Wissenschaftsprogrammen. Die Menschen an der Uni sollten also immer im Auge behalten, was ringsherum um sie passiert.“