Manch einer mag sich fragen, wie sie das alles schafft: Als Kollegreferentin am Max-Weber-Kolleg täglich dafür zu sorgen „dass der Laden läuft“, sich das Kolleg stetig weiterentwickelt und die Kollegiaten gute Arbeitsbedingungen vorfinden, Drittmittel einzuwerben, sich gleichzeitig in den universitären Gremien und im Studium Fundamentale zu engagieren, „nebenbei“ eigene Forschung zu betreiben und zugleich Ehefrau und dreifache Mutter zu sein. Bettina Hollstein schafft diesen Spagat mit scheinbarer Leichtigkeit. Und Leidenschaft. Ihre Geschichte in Erfurt beginnt mit einem Exposé zum Thema „Unbezahlte Arbeit/Ehrenamt“, mit dem sie sich damals als eine der ersten Gastkollegiatinnen am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt beworben hatte. Was folgte: ein spannendes Leben zwischen Forschung und Wissenschaftsmanagement…
Beruflich eine neue Herausforderung und privat das Ende einer Wochenendbeziehung zugunsten einer gemeinsamen Wohnung – das schien verlockend. Auf der anderen Seite: Unsicherheit und zunächst finanzielle Einbußen. Bettina Hollstein musste abwägen. Soll das Max-Weber-Kolleg der Uni Erfurt ihre berufliche Zukunft werden? Erfahrung mit der Arbeit an Hochschulen hatte sie bereits: Nach dem Studium und der Promotion in Mainz und Paris war sie als Fakultätsreferentin an der BTU Cottbus tätig und anschließend für zwei Jahre Kanzlerin der privaten Verwaltungsfachhochschule des Bundes der Unfallkassen. Zu dieser Zeit entstand die Idee, sich mit dem Forschungsthema „Ehrenamt“ am Max-Weber-Kolleg zu bewerben. Prof. Dr. Wolfgang Schluchter, der Gründungsdekan des Kollegs, bot ihr die Stelle als Kollegreferentin an. Für fünf Jahre. In dieser Zeit sollte sie sich zudem habilitieren. Bettina Hollstein nahm an und war am 1. April 1998 zur Stelle – exakt dem Tag, an dem das Kolleg seine Arbeit aufnahm.
„Es war ausgesprochen spannend und bereichernd, praktisch von der ‚Stunde Null‘ an dabei zu sein und das Kolleg mit aufzubauen“, sagt Bettina Hollstein. „Und da Professor Schluchter nicht nur Gründungsdekan des Max-Weber-Kollegs, sondern auch der Staatswissenschaftlichen Fakultät war und zudem Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs, habe ich so auch den Aufbau der Universität Erfurt von Beginn an mit begleitet. Das war sehr interessant, denn so hatte ich die Möglichkeit innovative Konzepte – wie z.B. das ‚Studium Fundamentale‘ – mit zu entwickeln und vor allem auch direkt umsetzen zu können.“ Und so dauerte es nicht lang, bis für die gebürtige Limburgerin weitere Aufgaben hinzukamen, die Stelle zur Dauerstelle und das Habilitationsprojekt zur Wochenendaufgabe geriet. Aber auch zu Hause gab es ordentlich zu tun: Zwischen 2000 und 2004 brachte Bettina Hollstein drei Söhne zur Welt. „Mein Mann und ich reduzierten unsere Arbeitszeit jeweils ein Jahr auf 50 Prozent. Ich bin sehr froh, dass die Familienfreundlichkeit der Uni sich unter anderem in der Möglichkeit der Nutzung eines Heimarbeitsplatzes ausdrückt – so konnte ich Familienpflichten mit der Arbeit für das Max-Weber-Kolleg vereinbaren.“ Und manchmal mussten die Kinder eben auch mit, erinnert sich Bettina Hollstein an eine Begebenheit, die ihr besonders peinlich war: „Für einen Forschungsaufenthalt war Prof. Shmuel Eisenstadt, ein berühmter Soziologe aus Israel, als Preisträger des Alexander-von-Humboldt-Forschungspreises an das Kolleg eingeladen worden. Mein Mann und ich wollten ihn am Erfurter Flughafen abholen, mussten aber vorher noch unseren zweijährigen Sohn aus dem Kindergarten abholen. Auf dem Weg zum Flughafen wurde dem Kleinen übel und das gesamte Mittagessen verteilte sich im Auto. Professor Eisenstadt nahm’s zum Glück mit Humor und blieb uns nach wie vor freundschaftlich verbunden.
2002 begann im Max-Weber-Kolleg dann eine neue „Ära“: Hans Joas wurde zum Leiter ernannt und so folgte nach dem Aufbau die Expansion, die dem Max-Weber-Kolleg den Weg zu einer international sichtbaren Forschungseinrichtung ebnen sollte. „Wir haben ein Graduiertenkolleg und verschiedene Stipendienprogramme zur Finanzierung von Kollegiaten eingeworben und gemeinsam mit Jörg Rüpke eine Kollegforschungsgruppe aufgebaut, die uns die Einladung von Fellows nach Erfurt ermöglichte.“ Ein weiterer Erfolg: das Forschungsrating des Wissenschaftsrats und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die dem Kolleg bescheinigten, eine der exzellenten Forschungsinstitutionen im Bereich Soziologie in Deutschland zu sein. Aber nicht nur die Nachwuchsförderung, sondern auch die Internationalisierung waren und sind dem Max-Weber-Kolleg ein wichtiges Anliegen. Und so kamen weitere internationale Projekte und Forschungsgruppen hinzu, darunter auch ein Indien-Schwerpunkt, der inzwischen zur Einwerbung eines vom Bund finanzierten Merian-Zentrums in Delhi geführt hat.
Mit Hartmut Rosa, der 2013 – zusammen mit Jörg Rüpke als Co-Direktor – die Leitung des Max-Weber-Kollegs übernommen hat, wurde die Forschungsprogrammatik schließlich neu ausgerichtet. Unter der Überschrift „Attraktion – Repulsion – Indifferenz. Eine kulturvergleichende Analyse von Weltbeziehungen“ wurde das Webersche Forschungsprogramm des Kollegs neu interpretiert. „Diese Thematik diente auch als Leitfaden für die Beantragung eines Forschungsneubaus, der finanziert von Bund und Land (bzw. Universität) bis zum Jahr 2021 gebaut werden soll und die Zusammenarbeit des Max-Weber-Kollegs mit Kooperationspartnern auf dem Campus deutlich verbessern wird“, freut sich Bettina Hollstein.
Warum Bettina Hollstein die Arbeit als Kollegreferentin bis heute so viel Spaß macht? „Die Tatsache, dass das Webersche Forschungsprogramm interdisziplinärer, verstehender Sozialwissenschaften mit einer großen historischen Tiefe und einem Interesse für normative Fragen, immer wieder neu ausbuchstabiert werden muss und damit auch auf jeweils neue Probleme in Gesellschaft und Wissenschaft reagiert, ist sicherlich eine wesentliche Attraktion meiner Arbeit. Und die Zusammenarbeit mit den Kollegen – insbesondere mit Hans Joas – hat auch meine eigene Forschung maßgeblich beeinflusst, so dass ich 2014 meine Habilitationsschrift ‚Ehrenamt verstehen. Eine handlungstheoretische Analyse‘ abschließen konnte.“ Neben aller Wissenschaft ist es aber auch das Umfeld, das die 52-Jährige auf dem Campus schätzt: „Ich habe das große Glück, an einer Einrichtung zu arbeiten, in der ich jeden Tag neue Dinge lerne und zugleich ständig vor neue Herausforderungen gestellt werde. Das macht mir große Freude und wird nie langweilig. Ganz besonders froh bin ich aber darüber, dass sowohl die Forschungs- als auch die Verwaltungstätigkeit durch eine freundliche und unterstützende Atmosphäre geprägt sind. Die Kollegen und Kolleginnen unterstützen nach Kräften unsere Arbeit – eine solche Grundstimmung ist ganz wesentlich für die Motivation und die Zusammenarbeit und vielleicht auch für manche Erfolge. Dafür bin ich sehr dankbar“, sagt Bettina Hollstein und schickt gleich noch einen Glückwunsch zum Jubiläum der Uni hinterher: „Der Universität Erfurt wünsche ich für die kommenden 25 Jahre, dass sie auch in Zukunft weiter spannende Forschungsprojekte bearbeitet und gute Lehre unterstützt und dabei geprägt ist von einer offenen, freundschaftlichen und vertrauensvollen Kommunikationskultur, die die gemeinsame Arbeit am Projekt ‚Universität Erfurt‘ unterstützt – einer weltoffenen Universität, die sich der ganzheitlichen Bildung ihrer Studierenden zu Weltbürgern und der Erforschung von Fragen, die unsere heutigen Gesellschaften beschäftigen, widmet.“